Gleichzeitigkeitsfaktor beim Laden von Elektrofahrzeugen in Theorie und Praxis

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The Mobility House Team

13. Juli 2022

Geschätzte Lesezeit: 3 Minuten

Insgesamt 681.410 Elektrofahrzeug-Zulassungen wurden im Jahr 2021 registriert. Damit hat sich der Anteil von Elektroautos an den Neuzulassungen im Vergleich zum Vorjahr 2020 fast verdoppelt. Dieser Anstieg bedeutet auch, dass immer mehr Ladeeinrichtungen, etwa Wallboxen im privaten Bereich, installiert und beim Netzbetreiber angemeldet werden. Der VDE (Verband der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V.) und der VDI (Verein Deutscher Ingenieure e. V.) haben dafür technische und regulatorische Bestimmungen festgelegt. Diese sind nicht nur für die Eigentümer:innen selbst, sondern besonders für Elektriker:innen und Gebäudemanager:innen, die mit der Installation beauftragt werden, relevant. Wir erklären, welche Rolle der Gleichzeitigkeitsfaktor für die Installation von Ladestationen spielt und wie er sich mit intelligentem Lastmanagement reduzieren lässt.

Electric car charging

Was ist der Gleichzeitigkeitsfaktor?

Der Gleichzeitigkeitsfaktor bildet ab, wie viele elektrische Verbrauchende in einem Haushalt oder Stromkreis gleichzeitig mit voller Leistung betrieben werden. Er lässt damit eine Aussage über die einzuplanende Gesamtanschlussleistung zu.

Bei der Auslegung von Hochleistungs-Ladeparks an Autobahnen ist es beispielsweise nur sehr begrenzt möglich, den Gleichzeitigkeitsfaktor zu reduzieren: Die Nutzer:innen erwarten maximale Ladeleistung, um ihre Ladezeit zu minimieren – auch wenn alle Stationen gleichzeitig in Betrieb sind. Soll hingegen eine große Dienstwagenflotte am Betriebsstandort geladen werden, kann der Gleichzeitigkeitsfaktor bis in den Bereich von 0,2 reduziert werden – ohne Einschränkungen für die Nutzer:innen. Denn die Fahrzeuge stehen sehr lange und weisen im Durchschnitt einen relativ geringen Energiebedarf pro Fahrzeug auf.

Gleichzeitigkeitsfaktor reduzieren mit Lastmanagement

Der Einsatz eines intelligenten Lastmanagements – beispielsweise über das Lade- und Energiemanagementsystem ChargePilot® von The Mobility House – kann in den meisten Anwendungsfällen zu einer Herabsetzung des Gleichzeitigkeitsfaktors führen. Insbesondere an Standorten mit mehreren Nutzer:innen, z. B. der Tiefgarage eines Mehrfamilienhauses, ist ein Lastmanagement zu empfehlen, um eine teure Überdimensionierung des Netzanschlusses und der Elektroinstallation zu vermeiden.

Durch die kurze, lokale Kommunikationskette zwischen Auto, Ladestation und Steuerung wird der Ladevorgang in unter zehn Sekunden geregelt. Dadurch ermöglicht das Lastmanagement einen geringeren Gleichzeitigkeitsfaktor und stellt sicher, dass die verfügbare Leistung nicht überschritten wird. Neben einer gleichbleibenden verfügbaren Gesamtladeleistung kann die Leistung auch an externe Vorgaben angepasst werden. So kann eine Wandlermessung am Netzanschlusspunkt den Strombezug am gesamten Standort erfassen und daran die verfügbare Ladeleistung ausrichten. Beispielsweise muss die Ladeleistung für Fahrzeuge in einem Logistikzentrum erheblich reduziert werden, wenn gleichzeitig die Förderbänder und Sortieranlagen in Betrieb sind. Stehen diese still, kann jedoch mit deutlich mehr Leistung geladen werden. Alternativ besteht die Möglichkeit, den Vorgaben aus einem gebäudeseitigen Energiemanagementsystem zu folgen.

Kommunikation der Ladestationen mit dem Lade- und Energiemanagementsystem

Für die Abrechnung, das Management und die Fernüberwachung der Ladeinfrastruktur empfiehlt die Richtlinie VDI 2166 Blatt 2 zur Planung elektrischer Anlagen in Gebäuden, die Ladestationen mit einer geeigneten Datenkommunikation zu verbinden. Das Lade- und Energiemanagementsystem kann dann beispielsweise – wie im Falle des schnittstellenoffenen Systems ChargePilot® – über das Kommunikationsprotokoll OCPP (Open Charge Point Protocol) mit den Ladestationen kommunizieren. Die Ladeinfrastruktur wird dafür mit einer LAN-Schnittstelle ausgestattet.

Vorteile durch Verringerung des Gleichzeitigkeitsfaktors

Eine Verringerung des Gleichzeitigkeitsfaktors kann erhebliche Kosteneinsparungen generieren. So können sowohl der Ausbau des Netzanschlusses als auch eine Erhöhung der Leistungsentgelte vermieden werden. Dies soll mit folgendem Beispiel näher erläutert werden: Ein Paketlieferservice hat 30 Elektrofahrzeuge mit jeweils 11 kW Ladeleistung. Bei gleichzeitiger Ladung am Abend wäre ein Ausbau um 180 kW notwendig. Mit ChargePilot® wird die Last über die Nacht hinweg verteilt und ein Ausbau somit vermieden. Dadurch kann das Unternehmen Lastspitzen vermeiden und schon im ersten Jahr 47.000 Euro [1] einsparen.

Welcher Gleichzeitigkeitsfaktor beim Laden von Elektrofahrzeugen mittels Lastmanagement sinnvoll anzusetzen ist, richtet sich insbesondere nach folgenden Parametern:

  • maximale Ladeleistung der Fahrzeuge
  • maximale Ladeleistung der Ladeinfrastruktur
  • Nutzungsmuster der Ladeinfrastruktur
  • Anzahl der Ladestationen

Gleichzeitigkeitsfaktor im Realbetrieb

Nachfolgend sollen Realdaten eines Ladeparks mit zehn Ladestationen die Funktionsweise von ChargePilot® verdeutlichen und Anhaltspunkte zum Gleichzeitigkeitsfaktor liefern. Das Szenario zeigt die Lastkurven eines Ladeparks, in dem zehn Fahrzeuge innerhalb einer Stunde zu laden beginnen, mit und ohne den Einsatz von ChargePilot®. Um einen effizienteren Ladevorgang gewährleisten zu können, wurde im dargestellten Realbetrieb mit einer Mindeststromstärke von 10 Ampere geladen.

Im Szenario der grauen Lastkurve werden die Fahrzeuge mittags innerhalb von ca. 2,5 Stunden vollgeladen. Der Maximalstrom bei einem Gleichzeitigkeitsfaktor von 1 liegt bei 160 Ampere. Im Szenario der blauen Lastkurve werden die Fahrzeuge über den ganzen Tag hinweg vollgeladen. Dabei kann der Ladestrom pro Phase mithilfe der Verringerung des Gleichzeitigkeitsfaktors auf 46 Ampere reduziert werden.

Graphic Gleichzeitigkeitsfaktor

Welche Kosteneinsparungen sind möglich?

Fazit: Wie im obigen Use Case dargestellt, kann mithilfe von ChargePilot® der Maximalstrom pro Phase um über 100 Ampere reduziert und somit auch der Gleichzeitigkeitsfaktor deutlich auf 0,28 verringert werden. Im Beispiel ergibt sich daraus ein Einsparungspotential von über 7.000 Euro pro Jahr bei gleichzeitiger Erfüllung des Mobilitätsbedarfs und aller Vorgaben der VDI-Richtlinien.

[1] Die Einsparungen wurden auf Basis von Erfahrungswerten aus der Praxis wie folgt ermittelt: Baukostenzuschuss und vom Verteilnetzbetreiber in Rechnung gestellte Kosten für den Netzanschluss in Höhe von einmalig 32.000 Euro und einem Leistungspreis von 15.000 Euro pro Jahr.